Intel, TSMC, Infineon, Bosch, NXP Milliarden für Mega-Fabs: Was bringen sie für den Standort Deutschland?

Von Michael Eckstein 9 min Lesedauer

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TSMC baut mit drei Partnern ein Chipwerk in Dresden. Politiker und Firmenlenker sind begeistert. Doch es gibt auch kritische Stimmen, etwa zu den immensen Subventionen gerade für die Halbleiterfertigung. Werden sich diese langfristig auszahlen?

Fluch und Segen: Subventionsmilliarden locken Tech-Riesen nach Deutschland/Europa, fehlen aber bitter an anderen Stellen.
Fluch und Segen: Subventionsmilliarden locken Tech-Riesen nach Deutschland/Europa, fehlen aber bitter an anderen Stellen.
(Bild: frei lizenziert / Pixabay)

„Silicon Saxony“ boomt. Nirgends sonst in Europa ist die Halbleiterindustrie so präsent wie im „deutschen Silicon Valley“ in Sachsen. Das hat durchaus Tradition: Schon zu DDR-Zeiten wurde in der Elbmetropole das Zentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) gegründet. Erst im Mai hatte der deutsche Konzern Infineon mit dem Bau einer fünf Milliarden Euro teuren Chipfabrik in Dresden begonnen. Auch Bosch und das US-Unternehmen Globalfoundries unterhalten große Werke in Dresden. Die Unternehmen schätzen das universitäre Umfeld und können dabei auch auf dem positiven Erbe ostdeutscher Industriegeschichte aufbauen.

Nun soll hier ab 2024 die Errichtung einer IC-Fertigung des Joint Ventures „European Silicon Manufacturing Company“ folgen. Hinter ESMC stehen die Branchenschwergewichte TSMC, Bosch, Infineon und NXP. Das taiwanische Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer für IC-Auftragsfertigung; die ESMC-Fab wäre die erste Produktionsanlage des Unternehmens in Europa – und damit nichts weniger als ein Paukenschlag.

„Mehr europäische Souveränität und technologische Unabhängigkeit“

Schon übertreffen sich nach den Firmenlenkern auch Politiker bei der Beschreibung der positiven Effekte, die die erfolgreiche Ansiedlung der Chiphersteller in der Region – hoffentlich – nach sich ziehen wird: Laut Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „entwickelt sich Deutschland jetzt wahrscheinlich zu DEM großen Standort für die Halbleiterproduktion in Europa“. Die Zusage von TSMC sei „wichtig für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und die Resilienz von Produktionsstrukturen in der ganzen Welt“. Auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bewertete die Ansiedlung als großen Gewinn. Die Investition sorge „für mehr europäische Souveränität und technologische Unabhängigkeit in einer Schlüsselbranche“.

Nach Einschätzung des Ostbeauftragten Carsten Schneider wird die geplante Fabrik des Chipherstellers TSMC in Dresden die ganze Wirtschaftsregion stärken: „Das Herz der europäischen Halbleiterproduktion schlägt in Ostdeutschland“, sagte der SPD-Politiker am Dienstag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Und laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) wird die Fab „substanziell zur Versorgung Deutschlands und Europas mit Halbleiterchips beitragen“. Die Investitionsentscheidung zeige, dass Deutschland ein attraktiver und wettbewerbsfähiger Standort sei, „gerade auch bei Schlüsseltechnologien wie der Mikroelektronik“. Nötig seien aber weitere Bemühungen, man arbeite etwa an beschleunigten Genehmigungsverfahren und Bürokratieabbau.

Ziel ist stabilere Versorgung mit Halbleitern in Europa

Wie gefährlich die Abhängigkeit Europas in der Schlüsseltechnologie Halbleiter von Asien und den USA ist, hat sich während der Corona-Pandemie gezeigt. Shutdowns, Fehlplanungen und die bis Ende 2022 anhaltende, knallharte Zero-Covid-Politik in China ließen Mikrochips weltweit zur Mangelware werden, zeitweise waren etliche Produkte gar nicht mehr verfügbar. Nicht nur die deutsche Autoindustrie bekam das schmerzhaft zu spüren: Zehntausende Autos konnten nicht fertiggebaut werden, weil Bauteile für wenige Cent oder Euro fehlten. Wochenlang mussten tausende von Mitarbeitern deswegen in Kurzarbeit treten.

„Eine robuste heimische Halbleiterproduktion ist von besonderer Bedeutung für unsere globale Wettbewerbsfähigkeit, denn Halbleiter halten unsere Welt am Laufen und machen die Transformation hin zur Klimaneutralität erst möglich: Ohne sie läuft kein Computer, fährt kein Auto, können weder Wind- noch Solaranlagen Energie produzieren“, betont Habeck in einer Mitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums.

Chips für die Automobilindustrie – Effekt nur begrenzt?

Die Chips aus ihrer Fabrik sollen nach Angaben der ESMC-Partner vor allem auf die Bedürfnisse der Automobil-Branche und Industrie zugeschnitten sein. Konkret sollen sie auf den bewährten 28/22-Nanometer-Planar-CMOS- und 16/12-Nanometer-FinFET-Prozesstechnologien von TSMC basieren. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) schließt daraus, dass der direkte Effekt des Werks in Dresden begrenzt sein werde. „Das Gros des Halbleiterbedarfs der Automobilindustrie besteht in anderen Knotengrößen, auf die die geplante Chipfabrik nicht ausgelegt ist.“ Eine VDA-Studie habe jüngst ermittelt, dass die Automobilindustrie vor allem Halbleiter mit der Knotengröße 90 Nanometer und größer benötige.

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Das mag für den aktuellen Bedarf zutreffen, ist allerdings nur die halbe Wahrheit: Denn auch die Automobilhersteller und -zulieferer setzen zunehmend auf Chips mit kleineren Technologieknoten. Die zunehmende Elektrifizierung und Vernetzung heutiger Autos fordert dies schlicht ein: Moderne Domänenarchitekturen basieren auf rechenstarken Controllern, die die vielen Daten etwa für die Sensorik, Fahrerassistenzsysteme und Entertainmentfunktionen zum Teil in Echtzeit verarbeiten müssen. Nur mit kleinen Strukturgrößen erreichen diese Chips eine ausreichend hohe Energieeffizienz – die sich nicht zuletzt auf die Reichweite von Elektrovehikeln auswirkt.

Richtig ist, dass bis dato kein Bedarf besteht für Highend-Prozessoren mit 3-, 4- oder 5-nm-Knoten, wie sie etwa in aktuellen Smartphones zum Einsatz kommen. Doch mit einem Portfolio von 12- bis 28-nm-Chips dürfte ESMC den Sweetspot für das nächste Jahrzehnt treffen. Spätestens 2027, wenn erste Chips das Werk in Dresden verlassen, werden auch hiesige Hersteller diese ICs im großen Stil einsetzen.

Verschärfter Kampf um Fachkräfte

In ihrer Erklärung heben die vier ESMC-Partner hervor, dass mit der Investition 2.000 neue Hightech-Arbeitsplätze direkt in der Fab geschaffen werden. Diese eigentlich gute Botschaft wird in der Branche voraussichtlich nicht nur Beifall auslösen, denn die Halbleiter-Hersteller haben derzeit ohnehin Probleme, ihre offenen Stellen besetzen zu können – und Besserung ist nicht in Sicht. Fachkräfte werden weltweit händeringend gesucht, es gibt einen globalen Wettstreit um die raren Bewerber.

Die neuen Chipwerke in Sachsen und Sachsen-Anhalt werden zu einer Herausforderung für die Hochschulen in ganz Deutschland, die für den notwendigen Nachwuchs sorgen müssen. Das Institut für Halbleiter- und Mikrosystemtechnik an der Technischen Universität Dresden allein wird diese Aufgabe nicht meistern können.

Staat investiert Milliarden an Steuergeldern in die Chipfertigung – ist das sinnvoll?

Angesichts des weltweit grassierenden Subventionswettlaufs besonders auf dem Gebiet der Halbleiterfertigung ist klar, dass ohne umfangreiche staatliche Unterstützung bei aktuellen Standortentscheidungen kein Blumentopf zu gewinnen ist. Rund um den Globus finanzieren Regierungen die meist milliardenschweren Investitionen erheblich mit. Profiteure sind fast immer hochprofitable Branchenriesen wie TSMC oder Intel, die eigentlich keine Unterstützung durch die öffentliche Hand bräuchten.

Deutschland und die EU stehen vor der Wahl: Entweder man geht im Subventionspoker mit und versucht, Schlüsselunternehmen für wichtige (Zukunfts-)Technologien für eine Ansiedlung in der eigenen Region zu gewinnen, oder man lässt es, muss dann aber mit den Folgen leben – hierfür wird gerne das Schreckgespenst der mangelnden Versorgungssicherheit mit Mikrochips bemüht. Auch das im EU Chips Act angepeilte Ziel eines 20-prozentigen Marktanteils an der weltweiten Chipproduktion bis 2030 wäre dann auf keinen Fall zu erreichen. Selbst mit massiven Förderungen ist es eher eine Utopie.

2,5 Millionen Euro pro Hightech-Arbeitsplatz

Die Bundesregierung hat sich für die erste Möglichkeit entschieden und bemüht sich mit hohen Fördersummen darum, Unternehmen für Investitionen in Deutschland zu gewinnen. So soll Intel in Magdeburg bei einem Gesamtinvestitionsvolumen von etwa 30 Milliarden Euro für einen neuen Standort fast 10 Milliarden vom Staat erhalten. Infineon strebt für den Ausbau seines Dresdner Werkes eine staatliche Förderung von rund einer Milliarde Euro an.

Für die ESMC-Fab steht eine Subvention von fünf Milliarden Euro durch den deutschen Steuerzahler im Raum. Das bedeutet: Jeder der geplanten 2.000 Hightech-Arbeitsplatz wird mit etwa 2,5 Millionen Euro erkauft. Ob sich derartige Investitionen für einen Staat langfristig lohnen, lässt sich – entgegen allen blumigen Beteuerungen – schwer abschätzen. Die Milliarden, mit denen sich der Bund an derartigen Projekten beteiligt, fallen ja nicht vom Himmel, sondern fehlen an anderer Stelle – etwa im mangelhaften Bildungssystem, im kollabierenden Gesundheitswesen oder in der maroden Verkehrsinfrastruktur.

Statt Arbeitsplatzsubventionen stehen daher auch vielmehr strategische Ziele im Fokus: Der technologische Abstand bei den Logikchips zu Fernost und den USA soll aufgeholt, zumindest aber deutlich verringert werden. Weniger Abhängigkeit auf diesem Gebiet reduziert zudem die Gefahr, zwischen diesen marktbeherrschenden Blöcken zerrieben zu werden.

Ökonomen sehen hohe Subventionen kritisch

So mancher renommierte Ökonom sieht die geplante Subvention für den taiwanischen Chip-Hersteller TSMC durchaus kritisch. So ist etwa der Präsident des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, Christoph Schmidt, skeptisch, ob die deutsche Konjunktur durch die Förderung den erhofften Schub bekommt: „Es ist zweifelhaft, dass die Subvention dem Land langfristig mehr bringen, als wenn man die gleichen Mittel in die Forschung und Entwicklung etwa von Speichertechnologien oder in die Infrastruktur für den Import und Transport von Wasserstoff stecken würde“, sagte Schmidt der „Rheinischen Post“ am Mittwoch.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sieht in den geplanten Chipfabriken von Intel in Magdeburg und TSMC in Dresden „eine ungewisse Wette auf die Zukunft“. Der Staat gebe 15 Milliarden Euro an Subventionen allein für diese beiden Fabriken aus. „Dies wird sich wirtschaftlich nur dann rechnen, wenn diese beiden Investitionen einen Impuls für die gesamte regionale Wirtschaft geben und auch in anderen Branchen und bei Zulieferern Innovationen und neue Arbeitsplätze entstehen“, sagte Fratzscher dem „Tagesspiegel“ in Berlin.

Mit Blick auf die Standorte sagte Fratzscher, die Projekte könnten Ostdeutschland helfen, „ein eigenes Wirtschaftsmodell zu entwickeln und sich von anderen Regionen Deutschlands zu unterscheiden“. Dafür müssten jedoch auch eine Willkommenskultur, eine bessere Infrastruktur und mehr Investitionen in Bildung und Innovationen entstehen. Nur so könnten Fachkräfte angezogen werden und die Investitionen damit erfolgreich sein.

ESMC-Projekt soll „beschleunigt“ starten dürfen

Das ESMC-Vorhaben sichere qualifizierte Arbeitsplätze und Wertschöpfung in Deutschland, ist Habeck überzeugt, „gleichzeitig profitieren von einer Investition dieser Größenordnung viele Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette sowie die Anwenderindustrien, von den großen Unternehmen bis zum Mittelstand.“ Die Bundesregierung werde die Pläne im Rahmen des European Chips Act unterstützen – wegen des internationalen Wettbewerbsdrucks sei hier Eile geboten. Die EU-Kommission muss diese staatliche Beihilfe von voraussichtlich fünf Milliarden Euro noch genehmigen – und das kann dauern.

Da zügige Verfahren bei Halbleitern jedoch zentral für Investitionen seien, habe sein Ministerium mit einer Ausnahmegenehmigung ermöglicht, dass das Unternehmen mit den Baumaßnahmen beschleunigt beginnen könne. Auch die ESMC-Investition dient dem Ziel des European Chips Act, bis 2030 Europas Anteil an der weltweiten Halbleiterproduktion auf 20 Prozent auszubauen.

Trotz Milliarden: Keine Unabhängigkeit von Taiwan und China

TSMC beherrscht wie derzeit kein anderes Unternehmen die Fertigungsprozesse für besonders kleine Strukturgrößen (Technologieknoten) – und damit für sehr energieeffiziente Chips. Damit ist der Konzern ein Schlüsselunternehmen für Smartphone-Anbieter wie Apple mit seinem iPhone. Letztlich zählt das Unternehmen so ziemlich alle wichtigen fabless-Chipentwickler zu seinen Kunden. Darüber hinaus lässt auch Intel – trotz eigener Fertigungsstätten – einige seiner Produkte bei TSMC fertigen. Die allerneusten und leistungsfähigsten Chips fertigt das Unternehmen weiterhin nur in Taiwan. Entsprechend stehen hier die meisten seiner großen Werke – was angesichts der Spannungen mit Peking als geopolitisches Risiko für die gesamte Elektronikbranche gilt.

Daher sorgt die Investition in die ESMC-Fab laut Sachens Ministerpräsident Michael Kretschmer „für mehr europäische Souveränität und technologische Unabhängigkeit in einer Schlüsselbranche“. Das ist zu einem gewissen Teil richtig. Eine Archilles-Ferse bleibt – neben erheblicher Rohstoffabhängigkeit – allerdings der letzte Schritt in der Chipproduktion: das Packaging. Sollte das Montieren der Siliziumplättchen in die Gehäuse, die letztlich auf den Platinen elektronischer Systeme verbaut werden, weiterhin primär in Asien erfolgen, so bliebe dies ein schwaches Glied in der weltweiten Lieferkette. Angesichts der knapp drei Milliarden US-Dollar, die TSMC gerade in eine neue Backend-Fab in Taiwan steckt, ist genau dieses Szenario sehr wahrscheinlich.

Mit dem alleinigen Bau von Frontend-Chipfabriken in Deutschland und anderen westlichen Ländern kann man sich ersichtlich nur teilweise aus der Abhängigkeit von den marktbeherrschenden Staaten und Regionen lösen. Das zeigt auch die jüngste Episode im Technologie-Streit zwischen den USA und China. Nachdem die US-Regierung den Export von Hochleistungschips unter anderem für KI an den Einparteienstaat weiter eingeschränkt hatte, konterten die Chinesen mit neuen Hürden für den Export bestimmter Rohstoffe, die für die Chipherstellung essenziell sind. So dürfen einheimische Firmen Gallium- und Germaniumprodukte inzwischen nur noch mit einer gültigen Lizenz exportieren. (me)

Mit Material von BMWI, dpa, Handelsblatt, TSMC, Bosch, Infineon, NXP

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