Manhattan-Projekt für Alternative Energien Kernfusion: Chancen und Herausforderungen für Europa

Von Kristin Rinortner 4 min Lesedauer

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Am Joint European Torus (JET) in Großbritannien gelang es einem europäischen Forschungsteam, 69 Megajoule Energie aus 0,2 Milligramm Brennstoff zu erzeugen. Das ist die größte Energiemenge, die bisher in einem Fusionsexperiment erreicht wurde. Aber wie weit ist dies noch vom Kraftwerkskonzept entfernt? Und was macht der Rest der Welt?

Kernfusion: Inneres des JET-Reaktors mit überlagertem Plasma.
Kernfusion: Inneres des JET-Reaktors mit überlagertem Plasma.
(Bild: © United Kingdom Atomic Energy Authority)

Die Kernfusion ist eine der wenigen Optionen, um in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts kontinuierlich große Energiemengen ohne CO2-Emissionen bereitzustellen. Fusionskraftwerke sollen nach dem Vorbild der Sonne leichte Atomkerne wie Deuterium und Tritium verschmelzen, um damit aus sehr geringen Brennstoffmengen gewaltige Energiemengen für die Menschheit nutzbar zu machen.

Hierzu setzen die Forscher seit längerer Zeit auf die Magnetfusion, die laut Aussagen von Professor Sybille Günther, Wissenschaftliche Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Garching, jetzt in die Anwendungsforschung übergehen muss und bis 2050 die dominierende Technik sein dürfte. Die beiden Konzepte der Magnetfusion Stellarator (Wendelstein) und Tokamak (ITER, JET, ASDEX) werden auf europäischer Ebene vorangetrieben.

Bietet Potenzial: Die Laserfusion

Potenzial verspricht die Laserfusion (Trägheitsfusion), die auf dem schnellen Aufheizen und der Kompression von kleinen Kügelchen aus Deuterium und Tritium, sogenannten Pellets, basiert. Dieses Verfahren ist durch Fortschritte in der Lasertechnik (Hochleistungskurzpulslaser) im Dezember 2022 am Lawrence Livermore National Laboratory wieder interessant geworden. Der Vorteil: Treiber und Reaktor können getrennt betrieben werden, was u.a. die Wartung vereinfacht.

Tony Donné (Programme Manager und CEO des europäischen Forschungskonsortiums EUROfusion) bezeichnet dieses Verfahren, das von US-amerikanischen Forschungserfolgen am Lawrence Livermore National Laboratory beflügelt wird, „als Manhattan-Projekt auf internationaler Ebene“.

Bisher forschen hierzu vorrangig US-amerikanische Institute, aber beispielsweise auch das deutsch-amerikanische Startup Focused Energy unter Leitung von Professor Markus Roth (TU Darmstadt) oder Marvel Fusion, eine Ausgründung der LMU München, die leider in die Staaten abgewandert sind, da sie hier ein besseres Forschungsumfeld geboten bekommen.

Das europäische Forschungskonsortium EUROfusion favorisiert derzeit das Konzept der Magnetfusion, das unter Experten als das am weitesten fortgeschrittene bei den Kraftwerkskonzepten gilt. Mit den Großexperimenten ASDEX Upgrade und Wendelstein 7-X treibt das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching die Forschung in Deutschland voran.

Magnetfusion: Rekord von 69 Megajoule Fusionsenergie

Der Rekord: Für Experimente mit dem Brennstoff späterer Kraftwerke (Deuterium und Tritium) betrieben Europas Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit der britischen Atomenergiebehörde UKAEA die Forschungsanlage JET bei Oxford. Dort gelang am 3. Oktober 2023 ein neuer Weltrekord: 69 Megajoule Fusionsenergie wurden während einer 5,2 s andauernden Plasmaentladung in Form schneller Neutronen freigesetzt. 0,2 mg Brennstoff waren dafür erforderlich.

Für die gleiche Energiemenge wären etwa 2 kg Braunkohle notwendig gewesen – also rund zehn Millionen Mal so viel, erklären die Forscher. Damit steigerte JET seinen eigenen Rekord aus dem Jahr 2021 (59 Megajoule in 5 s) noch einmal.

JET-Plama: Energie-Weltrekord mit 69 MJ bei der Kernfusion.
JET-Plama: Energie-Weltrekord mit 69 MJ bei der Kernfusion.
(Bild: © United Kingdom Atomic Energy Authority)

„Dieser Weltrekord ist eigentlich ein Nebenprodukt. Er war nicht aktiv geplant, aber wir haben darauf gehofft“, erklärt IPP-Wissenschaftlerin Dr. Athina Kappatou, die bei JET als eine von neun Task Force Leaders arbeitete.

„In dieser experimentellen Kampagne ging es hauptsächlich darum, die verschiedenen Bedingungen zu erreichen, die für ein späteres Kraftwerk notwendig sind, und so realistische Szenarien zu testen. Ein positiver Aspekt war aber, dass auch die Experimente von vor zwei Jahren erfolgreich reproduziert und sogar übertroffen werden konnten."

Letzteres war bei dem Rekordexperiment der Fall. Die gesamte Kampagne ist essenziell für den späteren Betrieb der internationalen Fusionsanlage ITER, die derzeit in Südfrankreich gebaut wird sowie für das geplante europäische Demonstrationskraftwerk DEMO. Über 300 Wissenschaftler und Ingenieure von EUROfusion haben zu diesen bahnbrechenden Experimenten beigetragen.

Trotz Rekord kein Energiegewinn – Aus für JET

Bei dem JET-Rekord wurde keine positive Energiebilanz erreicht – es musste also mehr Heizenergie ins Plasma investiert werden als Fusionsenergie erzeugt wurde. Tatsächlich ist ein „Energiegewinn“ physikalisch mit JET und allen anderen derzeitigen Magnetfusionsexperimenten weltweit nicht möglich.

Denn für eine positive Energiebilanz müssen diese Fusionsanlagen eine bestimmte Größe überschreiten, was bei ITER der Fall sein wird.

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Das Rekordexperiment (JET-Plasmaentladung Nummer 104.522) vom Herbst war eines der letzten bei JET überhaupt. Nach vier Jahrzehnten wurde der Betrieb Ende 2023 beendet.

Investitionen in die Kernfusion in Deutschland

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) will 2024 bis 2028 370 Millionen Euro für Fusionsforschung bereitstellen. Im Jahr 2023 gab die Bundesregierung rund 149 Millionen Euro für die Fusionsforschung aus. Das BMBF plant zudem ein sogenanntes „Fusionsökosystem“, das Unternehmen den Zugang zum Know-how der Forschungsinstitute und zu den erforderlichen Infrastrukturen ermöglichen soll.

Über die Bundesagentur für Sprunginnovation sollen in den nächsten fünf Jahren für Start-ups bis zu 90 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden (Quelle Deutschlandfunk).

Fragt man Tony Donné, ist das vor dem Hintergrund der Fördergelder, die in den USA, Japan und China fließen (Milliarden statt Millionen), nicht genug, um weiter vorne mitspielen zu können. Die Regierung sollte sich überlegen, ob man die (sinnlosen) Subventionen in die Solarenergie nicht lieber in die Kernfusion investiert.

Fazit: Mit einem funktionierenden Fusionskraftwerk kann man in Europa laut IPP nicht vor 2050 rechnen. Dies wird auf dem Prinzip der Magnetfusion basieren, also entweder nach dem Stellarator- oder nach dem Tokamak-Konzept arbeiten. Im Jahr 2100 könnten etwa 20 bis 30 Prozent des europäischen Strombedarfs mit Fusionsenergie gedeckt werden. Andere Staaten wie die USA oder China gehen von früheren Szenarien aus.

Die Idee mit der Laserfusion ist nicht neu: Schon 1961 hatte der Kalifornier John Nuckolls die Idee, mit einem Laser ein Fusionskraftwerk zu betreiben. 1972 publizierte er seine Ergebnisse in der Zeitschrift Nature. Spannend dürften jetzt die Entwicklungen in der Laserfusion mit den neuen Hochleistungskurzpulslasern werden. Das National Ignition Facility (NIF) am kalifornischen Lawrence Livermore National Laboratory hat bereits als weltweit erste Einrichtung mit einem derartigen Laser ein brennendes Plasma erzeugt. Die Energieausbeute liegt laut Professor Constantin Häfner vom Fraunhofer ILT derzeit bei 2,05 Megajoule. Aktuell ist man hier jedoch weit von einem Kraftwerkskonzept zur Stromerzeugung entfernt. (kr)

Mit Material von: Max-Planck-Institut für Plasmaphysik und Deutscher Bundestag sowie aus der Diskussionsrunde acatech am Dienstag: Fusionsenergie – Chancen, Herausforderungen, Zeithorizonte.

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