Chinesische Chipproduktion Analysten: US-Chip-Boykotte gehen „nach hinten los“, China erobert den Legacy-Weltmarkt

Von Henrik Bork * 3 min Lesedauer

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Die amerikanischen Chip-Boykotte gegenüber China haben einen ungewollten Nebeneffekt. Sie lassen die heimische Produktion hauptsächlich von Legacy-Chips oberhalb von 28 Nanometern geradezu explodieren, das zeigen jüngste Statistiken in der Volksrepublik.

Die chinesische IC-Produktion verlagert sich mehr und mehr auf immer noch gefragte Legacy-Chips.
Die chinesische IC-Produktion verlagert sich mehr und mehr auf immer noch gefragte Legacy-Chips.
(Bild: frei lizenziert / Pixabay)

Der „Chip War“ und die rasch steigende Nachfrage nach Autochips sorgen gemeinsam dafür, dass China in Rekordtempo zu einem globalen Marktführer für Halbleiter heranwächst.

Die Produktion von integrierten Schaltkreisen (IC) ist im ersten Quartal dieses Jahres sprunghaft gestiegen, um 40 Prozent auf 98,1 Milliarden Einheiten, berichtet die Nationale Statistikbehörde in Peking. Als Grund nennen die Statistiker, dass „die High-Tech-Fertigung schneller gewachsen“ sei.

Im ersten Quartal 2024 ist die Produktion von E-Autos und Hybriden, in China gemeinsam als „New Energy Vehicles“ gezählt, erneut um 29,2 % auf mehr als zwei Millionen Stück gewachsen. Die Fertigung von Smartphones ist im selben Zeitraum nach einer längeren Flaute ebenfalls wieder stark angezogen, um 16,7 % im Vergleich zum Quartal davor.

Heimische Produktion sichert Marktanteile

Die chinesische Regierung setzt seit Beginn der US-Boykotte alles daran, die heimische Produktion hochzufahren und sich aus ihrer starken Abhängigkeit von fortgeschrittenen Halbleitern aus den USA zu befreien (wir berichteten). Gleichzeitig hat Washington damit begonnen, auch den Export von fortgeschrittenen Lithografie-Maschinen zur Herstellung leistungsstarker Chips nach China zu unterbinden.

In der Folge beider Handelsrestriktionen – und kombiniert mit dem Bedarf aus dem Markt – konzentrieren sich die Investitionen innerhalb Chinas stark auf neue Foundries für ältere Generationen von Halbleitern, die sogenannten „Legacy Chips“ im Bereich 28 Nanometer oder größer.

Daher zeichne sich nun als „unbeabsichtigte Konsequenz“ eine ganze „Welle“ von staatlich gestützten Investitionen ab, die zu „Überproduktion und, potenziell, zu einer chinesischen Dominanz der globalen Fertigung von Legacy-Chips führen könnten“, zitiert die South China Morning Post aus einer Analyse des Centre for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington.

Mit anderen Worten: Die US-Boykotte für Chips und Halbleiterausrüstungen machen die chinesische Halbleiterindustrie gerade erst so richtig groß. Ganz sicher wächst sie noch viel schneller als von allen Analysten noch vor Jahresfrist erwartet. Bis 2027 könnte Chinas Weltmarktanteil für reifere Chips auf 39 % steigen, schätzt Trendforce. Im vergangenen Jahr waren es noch 31 %. Das wird vermutlich auch Auswirkungen auf deutsche Hersteller haben, etwa auf das im Bereich Autochips besonders starke Infineon.

„Mit diesem Tempo steuert China auf die globale Dominanz in der Produktion von Legacy Chips zu“, schreibt auch das Fachportal Tom's Hardware. „Die US-Sanktionen verwandeln China in einen Industriegiganten der Legacy-Chip-Fertigung“, lautet die Überschrift. Die Sanktionen aus Washington gingen „nach hinten los“, urteilen die Autoren.

Historisches Hoch

Im März dieses Jahres hat die Fertigung von Chips oberhalb von 28 nm in China mit 36,2 Milliarden Stück ein neues historisches Hoch erreicht, zeigen die Statistiken aus Peking. Ablesbar ist das sprunghafte Wachstum der Fertigungskapazität in der Volksrepublik gleichzeitig auch an den Finanzberichten von ASML, dem weltweit führenden Hersteller von Lithografie-Maschinen aus den Niederlanden.

Die IC-Produktion in China wächst, der Import schrumpft.
Die IC-Produktion in China wächst, der Import schrumpft.
(Bild: Asia Waypoint)

Im ersten Quartal dieses Jahres war China schon das dritte Quartal in Folge der größte Absatzmarkt für ASML auf dem Weltmarkt, mit respektive 46, 39 und nun 49 Prozent. Weil besonders fortgeschrittene EUV- und DUV-Maschinen auf Druck Washingtons auch aus Holland nicht mehr nach China verkauft werden dürfen, bestellen die Chinesen vor allem weniger fortgeschrittene Modelle zur Herstellung von Legacy-Chips (wir berichteten). Bei manchen Anwendungen, beispielsweise in Datenzentren oder E-Autos, lassen sich fortgeschrittene KI-Chips auch durch eine Kombination aus mehreren Legacy-Chips ersetzen.

„Im Zuge der US-Kontrollmaßnahmen für Halbleiterausrüstungen hat China eine große Menge von Lithografie-Maschinen für Legacy Chips für reifere Halbleiter-Prozesse bei ASML gekauft“, fasst das chinesische Fachportal Guoji Dianzi Shangqing den Trend zusammen.

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Für ASML ist das erfreulich, denn außerhalb Chinas ist der Bedarf nach seinen Ausrüstungen in jüngster Zeit weltweit zurückgegangen. Und noch erfreulicher ist, dass der Foundry-Boom in China Prognosen zufolge auch 2024 unverändert weitergehen wird. Chinesische Chiphersteller dürften bis Ende dieses Jahres 18 neue Fabs bauen, was die gesamte Jahreskapazität der Wafer-Fertigung von 7,6 Millionen Einheiten auf 8,6 Millionen steigen lässt, sagt die „Semiconductor Industry Association“ (SEMI) voraus. (sb)

* Henrik Bork, langjähriger China-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau, ist Managing Director bei Asia Waypoint, einer auf China spezialisierten Beratungsagentur mit Sitz in Peking.

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