Interview Thomas Götzl, Keysight „Komplexe Elektronik und Sensorik lassen sich noch nicht hinreichend genau modellieren“

Das Gespräch führte Dipl.-Ing. (FH) Hendrik Härter 7 min Lesedauer

Anbieter zum Thema

Moderne Fahrzeuge sind mit verschiedenen Sensoren für das autonome Fahren ausgestattet. Notwendig sind neben virtuellen Testfahrten auch reale Tests. Doch wo geht die Entwicklung hin? Antworten gibt Thomas Götzl von Keysight.

Moderne Fahrzeuge sind mit komplexer Elektronik und Sensorik ausgestattet. Um autonome und teilautonome Fahrzeuge auf die Straße zu bringen, sind neben realen Tests zunehmend virtuelle Erprobungen notwendig.
Moderne Fahrzeuge sind mit komplexer Elektronik und Sensorik ausgestattet. Um autonome und teilautonome Fahrzeuge auf die Straße zu bringen, sind neben realen Tests zunehmend virtuelle Erprobungen notwendig.
(Bild: Bosch)

Autonome Fahrfunktionen sind aus dem Straßenverkehr nicht mehr wegzudenken. Doch bevor die Fahrzeuge auf die Straße kommen, sind umfangreiche Tests notwendig. Diese finden häufig noch real auf Straßen und Testgeländen statt. Zunehmend wird aber auch virtuell getestet.

Thomas Götzl, Keysight: „Wir bei Keysight sehen die Kommunikation über Mobilfunk als elementaren Bestandteil des autonomen Fahrens.“
Thomas Götzl, Keysight: „Wir bei Keysight sehen die Kommunikation über Mobilfunk als elementaren Bestandteil des autonomen Fahrens.“
(Bild: Keysight)

Künstliche Intelligenz und Methoden des maschinellen Lernens halten auch in der Mess- und Prüftechnik Einzug. Gemeinsam mit Thomas Götzl werfen wir einen Blick auf die Möglichkeiten moderner Testmethoden. Götzl ist VP & GM Automotive and Energy Solutions bei Keysight Technologies.

Herr Götzl, automatisiert, vernetzt und elektrisch: So sieht die Zukunft des Fahrens aus. Welche Entwicklungs- und Testlösungen bietet Keysight für diese Themen?

Unser Portfolio unterstützt Fahrzeughersteller und Zulieferer in allen Bereichen der Elektromobilität, der für das autonome Fahren wichtigen Sensorik und Konnektivität sowie beim Funktionstest in der Produktion. Unsere Lösungen skalieren vertikal über den gesamten Entwicklungsprozess. So bauen zum Beispiel unsere Zell-, Modul- und Package-Tester aufeinander auf.

Ebenso bieten wir beispielsweise Radartestlösungen an, die horizontal vom Chip- über den Modul- bis zum Closed-Loop-Systemtest reichen und zusätzlich den End-of-Line-Test in der Produktion abdecken.

Für Elektrofahrzeuge ist eine strenge Prüfung der EV-Batterien, aber auch der Ladekonformität und Interoperabilität erforderlich. Keysight bietet Ladetestlösungen für EVs und EVSE – Electric Vehicle Supply Equipment, also Ladesäulen und Wallboxen, um ein reibungsloses Ladeerlebnis für den Endkunden zu gewährleisten. Bei Batterien muss der Kunde das beste Design für jede neue Plattform definieren. Sei es, um die Leistung von Zellen, Modulen und Packs zu optimieren oder um das Verhalten in emulierten realen Szenarien zu analysieren. Die speziell entwickelte Testumgebung von Keysight ermöglicht Tests von der Zelle bis zum Pack.

Für vernetzte, autonome Fahrzeuge bieten wir Lösungen, die von der drahtlosen Kommunikation über Sensortechnologien bis hin zum Test der Hochgeschwindigkeitskommunikation im Fahrzeug reichen.

Das alles muss abgesichert werden, was wir mit entsprechenden Cybersecurity-Lösungen unterstützen. Und wenn diese Basistechnologien in die Massenproduktion gehen, bieten unsere Lösungen eine Testabdeckung, die ICT-, Funktions- und End-of-Line-Tests unterstützt.

Autonomes/automatisiertes Fahren ist derzeit bis Level 3 möglich. Getestet wird mit realen Fahrzeugen auf Teststrecken oder rein virtuell. Glauben Sie, dass reale Tests am Fahrzeug obsolet werden und wie können virtuelle Tests das automatisierte Fahren voranbringen?

Spätestens ab Autonomiestufe 3 gehen die OEMs ein Haftungsrisiko für Fehler des ADAS-Systems ein. Das führt zwangsläufig dazu, dass neue Wege der Absicherung beschritten werden müssen. Rein virtuelle Tests sind längst etabliert, auch dank immer besserer und genauerer Fahrzeug- und Umgebungsmodelle. Das Verhalten der vielen komplexen Elektroniken und Sensoren kann jedoch noch nicht hinreichend genau modelliert werden.

Um die Lücke zur Fahrt auf der Straße zu schließen, wird daher die Absicherung im Labor in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Entscheidend ist dabei die Möglichkeit, Testszenarien gefahrlos und reproduzierbar durchführen zu können. Dies wird die Erprobung auf Testgeländen und öffentlichen Straßen nicht gänzlich obsolet machen. Dieser letzte Schritt wird aber vor allem dazu dienen, die im Labor ermittelten Kriterien zu validieren und stichprobenartig in der realen Welt abzubilden. Als Messgerätehersteller mit 85 Jahren Erfahrung ist es unsere Aufgabe, diese Verbindung zwischen virtueller und realer Welt mit hoher Genauigkeit darzustellen.

Die Kombination dieser Methoden wird es den OEMs ermöglichen, die notwendigen Sicherheits- und Qualitätsaussagen zu treffen.

Mit welchen Problemen kämpfen aktuell die Automobilhersteller, wenn es um die Themen automatisiertes Fahren und vernetzte Fahrzeuge geht?

Wir sehen derzeit zwei unterschiedliche Ansätze: Entweder sehr früh mit Prototypen öffentlichkeitswirksam auf die Straße zu gehen oder methodisch von Grund auf von L2 über L3 und darüber hinaus in kleinen Schritten neue Funktionen einzuführen. Im ersten Fall bedeutet dies, dass schwere Unfälle die Probleme öffentlich sichtbar machen. Im zweiten Fall stellt sich die Frage, wann solche Funktionen so ausgereift sind, dass sie einen echten Mehrwert darstellen. Eine Teststrategie, die frühzeitig Probleme aufdeckt, aber gleichzeitig sehr methodisch das bisher Erreichte absichert, wird einer der Schlüssel zur Absicherung sein.

Welche Aufgaben wird künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen Ihrer Meinung nach in Bezug auf automatisiertes Fahren übernehmen?

Besonders im automatisierten Fahren wird viel KI-basierte Methodik diskutiert. Klar ist, dass es ohne diese Methoden nicht gehen wird. Klar ist aber auch, dass, wie bereits erwähnt, der Einsatz von Werkzeugen zur deterministischen Absicherung der selbstlernenden Algorithmen notwendig ist. Dass wir uns in beiden Bereichen vorausschauend engagieren, ist in unserer Strategie klar verankert.

Jetzt Newsletter abonnieren

Verpassen Sie nicht unsere besten Inhalte

Mit Klick auf „Newsletter abonnieren“ erkläre ich mich mit der Verarbeitung und Nutzung meiner Daten gemäß Einwilligungserklärung (bitte aufklappen für Details) einverstanden und akzeptiere die Nutzungsbedingungen. Weitere Informationen finde ich in unserer Datenschutzerklärung.

Aufklappen für Details zu Ihrer Einwilligung

Immer mehr Sensoren und Sensorfusion bestimmen das moderne Fahrzeug. Was muss ein entsprechendes Testsystem bieten, um die große Anzahl an Daten aus Sensoren, Kamera, Lidar und Radar verarbeiten zu können?

Wir sehen hier Anforderungen auf allen Ebenen: Es beginnt mit hochpräzisen Messgeräten, mit denen die Grundfunktionen der Sensoren abgesichert werden können: Dazu gehören beispielsweise die Charakterisierung der Antennen, die Eigenschaften der Sender- bzw. Empfängermodule, die Anbindung an die Sensorsoftware, die Robustheit gegenüber Störungen. Für die Absicherung der Sensorfunktion selbst werden spezialisierte Lösungen benötigt, die in der Lage sind, das Gesamtsystem zu testen.

Dabei ist es wichtig, die gesamte Kette vom Signal auf physikalischer Ebene bis zur Kommunikation mit übergeordneten Fahrfunktionen zu betrachten. Für die Integration mehrerer Sensoren werden dann komplexe Testszenarien mit einer realistisch nachgebildeten Umgebung eingesetzt. Dies erfordert hochgenaue Emulationslösungen für jeden Sensortyp in Verbindung mit Methoden zur Synchronisation der Teilsysteme.

Damit autonomes Fahren möglich wird, sind leistungsstarke Mobilfunknetze notwendig. Für Keysight ist das Thema 5G ebenfalls kein unbekanntes Terrain. Wie sieht eine optimale Zusammenarbeit zwischen Mobilfunk und autonomes Fahren aus?

Wir bei Keysight sehen die Kommunikation über Mobilfunk als elementaren Bestandteil des autonomen Fahrens. Dabei spielen nicht nur aktuelle Informationen wie Verkehrslage oder Gefahrenmeldungen eine Rolle, wie sie heute schon in vielen Fahrzeugen verfügbar sind. Auch das Update von AD- und ADAS-Funktionen Over the Air (OTA) muss zuverlässig funktionieren und entsprechend getestet werden. Ebenso wird mit der stetigen Leistungssteigerung der Mobilfunknetze – und hier denken wir bei Keysight bereits an 6G – die Bedeutung von Cloud-basierten Funktionen zunehmen.

Für hochautonom fahrende Fahrzeuge sind sowohl Informationen über die Makro-Verkehrssituation als auch über die unmittelbare Umgebung relevant. Beispiele sind Echtzeit-Updates über Baustellen, Stauinformationen aus der Infrastruktur oder V2X-basierte Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur wie Ampelphasen oder direkt zwischen Fahrzeugen. Man denke beispielsweise an einen Krankenwagen, für den eine Rettungsgasse gebildet werden muss und der dies über V2X ankündigen kann. Um diese Funktionen zu testen, werden wiederum leistungsfähige Testsysteme benötigt, die diese Szenarien im Labor nachbilden können.

Wie realistisch sehen Sie autonomes/automatisiertes Fahren für die breite Masse und was könnten mögliche Hemmnisse sein?

Autonomes Fahren ist bereits heute Realität, allerdings unter sehr eingeschränkten Bedingungen. In gut kontrollierbaren Umgebungen, wie dem Pendelverkehr auf Flughäfen, werden wir schon bald vollständige Autonomie erleben. Für eine breite Marktdurchdringung im alltäglichen Straßenverkehr sind jedoch noch einige Herausforderungen zu meistern. Zum einen muss die Technologie aus dem Premiumsegment auch im unteren Preissegment verfügbar gemacht werden.

Lidar-Sensoren, wie sie heute in Level-3-Fahrzeugen eingesetzt werden, sind derzeit noch zu teuer, und es findet ein Wettlauf um hochauflösende bildgebende Radarsensoren statt. Zum anderen stellen regionale Unterschiede im Straßenverkehr eine nicht zu unterschätzende Hürde dar. Während in einigen Ländern ein regelkonformes Verhalten vorherrscht, sehen wir auch Beispiele, in denen Fahrstreifenbegrenzungen, Mindestabstände und sogar Ampelsignale von den Autofahrern eher als Empfehlung verstanden werden.

Ein autonomes Fahrzeug muss sich an diese Bedingungen anpassen können, um nicht durch ständige Notbremsungen selbst zum Verkehrshindernis zu werden. Keysight bietet Testlösungen, mit denen sich das gesamte Spektrum solcher Szenarien im Labor simulieren lässt. So können Algorithmen optimiert und neuronale Netze trainiert werden, um autonomes Fahren unter verschiedensten Bedingungen zu ermöglichen.

Kurzer Blick in die nahe Zukunft: Was müssen Simulations-, Test- und Validierungswerkzeuge leisten können, um automatisiertes, vernetztes und elektrisches Fahren in den nächsten Jahren einer breiteren Zielgruppe anbieten zu können?

Aufgrund des überproportional steigenden Softwareanteils in heutigen Fahrzeugen müssen Testlösungen in der Lage sein, sowohl die Funktion als auch die Sicherheit dieser Software zu gewährleisten. Dazu gehört zum einen das vollständige und detaillierte Testen von autonomen Fahrszenarien im Labor – Stichwort Digital Twin. Anders ist die immense Anzahl der notwendigen Testfälle nicht abzudecken, auch wenn es weiterhin spezifische Validierungen auf dem Testgelände geben wird. Zum anderen muss die Funktionalität und Sicherheit beispielsweise bei der Überwachung des Ladezustands der Batterie gegeben sein, das betrifft auch die Kommunikation mit der Ladesäule.

Aber auch die Sicherheit gegen Cyber-Angriffe an allen Kommunikationsschnittstellen muss gewährleistet sein. All diese Anforderungen werden nach und nach durch globale und regionale Standards und Regularien formalisiert und Testlösungen müssen in der Lage sein, das Fahrzeug und seine Komponenten regelkonform zu validieren. Keysight arbeitet eng mit allen Standardisierungsgremien zusammen, um solche Lösungen anbieten zu können.

(heh)

(ID:49859605)